Die XII. Strafkammer – Schwurgericht – des Landgerichts Essen hat gestern Herrn Dr. Johann Spittler wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.

Die Kammer ist dabei von dem in der Anklage beschriebenen Sachverhalt ausgegangen, der in dem Strafverfahren außer Streit gestanden hatte. Demnach hatte Herr Dr. Spittler nach Kontaktaufnahme und Suizid-Beihilfe-Wunsch durch den Geschädigten diesen untersucht und ein psychiatrisches Gutachten zur Freiverantwortlichkeit des Suizidwillens erstellt. Herr Dr. Spittler bejahte die Freiverantwortlichkeit trotz Vorliegens psychischer Erkrankungen beim Geschädigten. Am 31.08.2020 legte Herr Dr. Spittler dem Geschädigten dann einen venösen Zugang und hängte eine Infusion mit einer tödlich wirkenden Menge Natrium-Thiophental in Kochsalzlösung an, deren Zuflussventil der Geschädigte sodann selbstständig öffnete und an der tödlich wirkenden Dosis verstarb. 

In der mündlichen Urteilsbegründung hat das Gericht betont, dass der in autonomer Selbstbestimmung freiverantwortlich vorgenommene Suizid verfassungsrechtlich geschützt sei, was auch das Recht des Sterbewilligen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ebenso wie das Recht des Begleiters, Hilfe zu leisten, beinhalte. Die Grenze zu strafbarem Verhalten des Suizidhelfers sei jedoch erreicht, wo die Entscheidung zum Suizid durch den Sterbewilligen nicht freiverantwortlich gebildet werden könne. 

Diese Grenze habe Herr Dr. Spittler überschritten, weil der Geschädigte an gravierenden psychischen Erkrankungen, nämlich einer akuten paranoiden Schizophrenie sowie einer mittelgradigen depressiven Episode gelitten habe. Diese hätten seine Einsichtsfähigkeit im Tatzeitpunkt derart gestört, dass er zur Beurteilung seiner Situation nach objektiven Maßstäben bzw. zu einer realitätsbezogenen Abwägung des Für und Wider der Suizidentscheidung nicht mehr in der Lage gewesen sei. Sein Suizidwunsch habe wesentlich auf einer erkrankungsbedingten, nicht realistisch begründeten Annahme beruht, dass es für seine psychische Beschwerdesymptomatik keine Besserungsaussichten mehr gegeben habe, ferner, dass er unter einer zunehmenden Sehstörung leiden würde. 

Dabei hat die Kammer sich vor allem auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Norbert Leygraf, aber u.a. auch auf Aussagen von (sachverständigen) Zeugen gestützt. 

Weiter war die Kammer der Überzeugung, dass Herr Dr. Spittler im Hinblick auf die fehlende Freiverantwortlichkeit vorsätzlich gehandelt hat, weil ihm die Lage des Geschädigten, die zu einem Ausschluss der Freiverantwortlichkeit geführt hat, bekannt gewesen sei. Der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung selbst bestätigt, dass ihm bewusst gewesen sei, dass das Denken und die Suizidentscheidung des Geschädigten durch eine aktuelle krankheitswertige Störung beeinträchtigt und auch krankheitswertig richtungsbestimmend beeinflusst gewesen seien. Soweit der Angeklagte dennoch in seinem Gutachten zu dem Ergebnis der „Freiverantwortlichkeit“ gekommen sei, beruhe dies nicht auf einem Irrtum, sondern auf einer von ihm selbst entwickelten falschen Definition des Begriffs der Freiverantwortlichkeit. Der Angeklagte habe dies gewusst und jedenfalls mit der Möglichkeit gerechnet, rechtswidrig zu handeln und dies billigend in Kauf genommen, um die von ihm als ethisch geboten erachtete Hilfestellung gewähren zu können. 

Die Kammer ist im Rahmen der Strafzumessung von einem minder schweren Fall des Totschlags ausgegangen, weil insbesondere erheblich strafmildernd zu berücksichtigen gewesen sei, dass Herr Dr. Spittler aus Mitleid heraus gehandelt habe, nicht vorbestraft sei und sein hohes Alter ihn auch besonders haftempfindlich mache. 

Die Kammer hat den gegen Herrn Dr. Spittler bestehende Haftbefehl aufrechterhalten, aber weiter unter der Auflage außer Vollzug gesetzt gelassen, dass Herr Dr. Spittler bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens keine Beihilfe zum Suizid mehr leistet. 

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren beantragt, die Verteidigung Freispruch gefordert. Beide Seiten kündigten an, in Revision gehen zu wollen. 

Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, wird das Urteil hier anonymisiert und in die Rechtsprechungsdatenbank des Landes (NRWE) eingestellt. 

Im Auftrag
Dr. Kliegel

Presseerklärung der Präsidentin des Landgerichts Essen vom 02.02.2024 (12 b E - 1. 336)